Crescendo Magazin – Massimo Giordano: “Totale Freiheit”

30.05.13

Auf seinem neuen Album singt der italienische Tenor Massimo Giordano über “Liebe und Schmerz”. Hat er sich damit einen Traum erfüllt?

Ein Gespräch unter vier Augen trotz 650 Kilometern Entfernung? Dank Skype wäre das kein Problem – wenn Massimo Giordano seine Pläne nicht geändert hätte. Denn statt mit Laptop in Florenz zu weilen, wo der italienische Tenor am Vorabend des Interviews beim Maggio Musicale Verdis „Don Carlo“ unter dem Dirigat von Zubin Mehta gesungen hat, ist er nach der Vorstellung kurzentschlossen zu seiner Familie nach Triest gefahren. Zum ausgemachten Gesprächstermin steht er einen Dreivierteltag später schon wieder mit gepackten Koffern auf der Straße, um zum nächsten Auftritt im Florentiner Teatro Comunale zurückzufahren. „Häufige Ortswechsel sind notwendiger Teil meiner Arbeit“, kommentiert deshalb via Mobiltelefon der zweifache Vater, der unter diesem Spagat zwischen Beruf und Privatleben zugegebenermaßen leidet. Und sich freut, wenn die Distanz wie gerade „nur ein paar Stunden innerhalb Italiens“ beträgt, „weil man sich ansonsten leicht wie ein Seefahrer fühlt, der dauernd weit von zu Hause weg ist, während die Kinder ohne seine Anwesenheit immer größer werden“. Verzichten möchte er auf seine rund 40 bis 60 Auftritte pro Jahr, zu denen ihn seine Frau Alexandrina und seine beiden Sprösslinge nur in Ausnahmefällen begleiten, aber auf keinen Fall. Dafür ist seine Begeisterung viel zu groß, endlich an jenem Ort brillieren zu können, der ihm früher „unerreichbar“ schien: auf der Opernbühne.

„Mein Vater hat leidenschaftlich gerne neapolitanische Volkslieder gesungen. Das war alles, was ich in meiner Familie aus bescheidenen Verhältnissen als musikalische Basis mitbekommen habe“, erinnert sich Giordano, 1971 in Pompeji bei Neapel geboren. Eine „neue Welt“ habe sich ihm erst eröffnet, als Giordano Senior seine Stelle als Steinmetz in einer süditalienischen Marmor-Fabrik aufgab und Hausmeister am Conservatorio di Musica Giuseppe Tartini in Triest wurde. Weil dort im Fach Flöte Plätze frei waren, lernte Massimo zunächst das Blasinstrument. Und zufällig entdeckte er dann mit 18 sein wahres Talent: „Ein befreundeter tschechischer Pianist ermunterte mich, meine Stimme mit seiner Klavierbegleitung auszuprobieren. Dessen einziger Kommentar war: ‚Das musst, musst, musst du weitermachen!’“ Was darauf folgte, war einerseits eine Verkettung „glücklicher Fügungen“, andererseits das Ergebnis von viel „Schweiß und Opfern“: Nach der Aufnahme in die Gesangsklasse, bei der er sich ohne Vorbereitung gegen annähernd 100 Konkurrenten durchsetzte, absolvierte Giordano sein Studium genauso ambitioniert wie Gesangswettbewerbe, die mit ersten Engagements belohnt wurden und ihn Schritt für Schritt ein Repertoire vor allem im Belcanto-Fach erarbeiten ließ, das er jetzt zum ersten Mal auch auf einer CD unter Beweis stellt.

„Amore e Tormento“ heißt sein Anfang Mai bei BMG erschienenes und von Naxos vertriebenes Debutalbum mit Arien der italienischen Komponisten Francesco Cilea, Giacomo Puccini, Giuseppe Verdi, Umberto Giordano und Amilcare Ponchielli. „Die 14 ausgewählten Stücke aus Werken von ‚Manon Lescaut’ über ‚Tosca’ und ‚Simon Boccanegra’ bis ‚Turandot’ sollen in einer Art dramatischen Entwicklung zeigen, welche Gefühle die Liebe von Eifersucht über Rache bis Verrücktheit begleiten“, erklärt Giordano sein künstlerisches Konzept, das er in „totaler Freiheit“ habe entwickeln können und das sich bewusst auf „Italianità“ konzentriere, weil er sich nicht von der ihm so wichtigen Tradition und seinen Wurzeln entfernen wollte. Sowohl inhaltlich als auch stimmlich ist dabei eine Bandbreite herausgekommen, in der sich Giordano sichtlich wohl fühlt. Und mit der er auch ein anderes als sein gewohntes Publikum erreichen will, das ihm rund um den Globus an den Lippen hängt. „Dolce notte misteriosa“ heißt der Bonus-Track über die schöne Marcella aus der gleichnamigen Oper seines Namensvetters Giordano, die Regisseurin Marisa Crawford an der Amalfi-Küste nahe Neapel verfilmt hat. „Mit diesem Video geht es mir um einen frischen Zugang zur Oper, der mich anders zeigen soll als in der Rolle eines klassischen Tenors“, erklärt Giordano, der mit gepflegtem Dreitagebart und zurückgegelten, halblangen Haaren in Schwarz-Weiß-Bildern und 50er-Jahre-Ambiente sowohl von einer verführerischen Bellezza träumt als auch mit ihr aufs Meer hinaus und am Schluss zusammen auf einer Vespa davonfährt.

Abgesehen von diesem Exkurs, (zu sehen auf seiner Webseite www.massimogiordano.com), fühlt er sich aber ganz und gar seiner angestammten Branche verbunden: Am 19. und 21. Juni singt er an der Deutschen Oper Berlin den Attila in „Foresto“ und vom 3. bis 12. September den Alfredo in „La Traviata“ an der Wiener Staatsoper, auf den im Dezember 2013 und Januar 2014 eine Auftritts-Serie als Cavaradossi in „Tosca“ sowohl an der Bayerischen als auch Wiener Staatsoper folgt.

Respekt hat er nur vor seinem wichtigsten Kapital, seiner Stimme: „Wir sind unser eigenes Instrument und somit sehr fragil“, weiß er aus langjähriger Erfahrung. Festes Vorhaben ist insofern, gut für sich und sein Ausnahme-Organ zu sorgen. Und gleichzeitig weiterhin an der Erfüllung noch offener Wünsche zu arbeiten: „Mit ‚Amore e Tormento’ konnte ich einen lang gehegten Traum realisieren“, freut sich Massimo Giordano. Jetzt fehle nur noch die passende Konzert-Tour.

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